Warum gerade Thomas von Aquin?


Immer wieder werde ich gefragt, warum ich ausgerechnet über Thomas von Aquin einen Roman geschrieben habe.

Es war Zufall. Wenn es denn Zufälle überhaupt gibt. Vielleicht war es aber auch Bestimmung. Schon als junges Mädchen habe ich im Konfirmationsunterricht darüber nachgedacht, ob Glaube und Wissenschaft sich nicht gegenseitig ausschließen. Diese Frage habe ich damals nicht laut gestellt. Aber als ich so viele Jahre später „zufällig“ auf Thomas von Aquin stieß, da wusste ich, dieser Mann war die Antwort auf meine damaligen stillen Überlegungen.

 

Auf meiner Reise quer durch die Philosophie stieß ich irgendwann auf die sogenannten „Gottesbeweise“ des Thomas von Aquin. Er selbst nannte sie „Fünf Wege der Gotteserkenntnis“ und seine Begründung galt sehr lange als unwiderlegbar. Erst Immanuel Kant gelang es, in dieser Argumentation einen logischen Fehler nachzuweisen. Womit Kant nicht nachgewiesen hat, dass es keinen Gott gibt, sondern lediglich die Beweisführung für die Existenz Gottes als unlogisch und als damit fehlerhaft enttarnt hat. Thomas von Aquin war sich wohl schon zu Lebzeiten bewusst, dass eine Beweisführung unmöglich ist, denn er schrieb: „Wiewohl die Dinge des Glaubens nicht bewiesen werden können, so können sie dennoch nicht durch Beweisgründe widerlegt werden.“

 

Weil ich wissen wollte, wer dieser Mann war, der schon im Mittelalter erkannte, was noch heute Stand der Wissenschaft ist, las ich mehr über ihn und war fasziniert und entsetzt zugleich.

Fasziniert, weil seine Gedanken und Überlegungen unser Denken bis heute prägen. Sein Ansatz, nicht einfach nur zu glauben, sondern zu fragen, welchen Sinn alles hat, ist unser heutiges Denken. Wir sind es gewohnt, nach dem Sinn zu fragen, nach dem eigentlichen Grund, nach dem Ursprung. Zu seiner Zeit im 13. Jahrhundert war dieser Ansatz neu und revolutionär und galt vielen als Häresie.

Seine Theorie des Natürlichen Gesetzes ist in der Konzeption der Menschenrechte verankert, seine Sicht des Staates hat Thomas Jefferson beeinflusst, als er die Unabhängigkeitserklärung formulierte, seine Vorstellung von gerechter Kriegsführung sind im internationalen Recht festgeschrieben. Auch Martin Luther King berief sich auf Thomas von Aquin, als er die amerikanischen Rassengesetze als ungerecht bezeichnete.

 

Entsetzt, weil eben diese Gedanken und Überlegungen, vor allem zur Stellung der Frau und seine Ansichten über die Sexualität, bis in unsere Zeit noch Gültigkeit haben. Erst durch ihn habe ich verstanden, warum die Frau als minderwertig galt, warum die Vergewaltigung in der Ehe so lange Zeit kein Straftatbestand war oder warum die Homosexualität bis heute von der Kirche als schwere Sünde betrachtet wird.

 

Thomas von Aquin ist Ende 1224 oder Anfang 1225 auf Schloss Roccasecca in Italien geboren und starb am 7. März 1274 in Fossanova. Er war Dominikanermönch und gilt als einer der einflussreichsten Denker in der Geschichte. Sein Leben war (aus Sicht einer Schriftstellerin) ereignislos. Er hat vor allem gelesen, geschrieben und gelehrt und er soll einen ungeheuren Appetit gehabt haben. Sein Ruf als „stummer Ochse“ leitete sich aus seiner ruhigen, stillen Art und seinem ungeheuren Körperumfang ab. Sein Anliegen war es, die Wahrheit der Bibel zu beweisen und dafür berief er sich auf die Vernunft und bediente sich der heidnischen Philosophen, allen voran Aristoteles.

 

Hier also war die Antwort auf meine ungestellte Frage: Thomas von Aquin hat versucht den Christlichen Glauben wissenschaftlich zu beweisen. Er hat die Grundlagen geschaffen, dass sich Glaube und Wissenschaft nicht mehr gegenseitig ausschließen.

  

Aber seine Ansicht über die Frauen und seine abstrakte Betrachtungsweise der Sexualität konnte ich ihm einfach nicht durchgehen lassen. Noch bevor ich mir dessen wirklich bewusst war, hatte meine Fantasie die Figur der Contessa Enrica entworfen. Anhand ihrer fiktiven Biografie ist es mir gelungen sein Leben und sein in sich widersprüchliches Werk lebendig werden zu lassen.